21.11.2021
Knieverletzungen bei Schneesportlern: Prävention und Behandlung

Die Skisaison ist in vollem Gange, Schneesportunfälle erreichen im Februar anzahlmässig ihren Höhepunkt. Eine der häufigsten Verletzungen bei Ski- und Snowboardunfällen ist die Knieverletzung (Statistik SUVA /BFU). Wir sprechen mit Dr. med. Martin Maleck über Unfallprävention, Behandlungsmethoden und Prognosen.

Ski- und Snowboardverletzungen betreffen besonders oft die Knie. Was für Knieverletzungen gibt es und von welchen sind Wintersportler am häufigsten betroffen?

Es können sämtliche Arten von Knieverletzungen auftreten. Von der einfachen Meniskusverletzung (dem Stossdämpfer des Kniegelenks) über Seitenbandrisse bis hin zu schlimmen Kombinationsverletzungen, die den gesamten Bandapparat und die Knochen betreffen.

Als häufigste Verletzung des Kniegelenks ist der vordere Kreuzbandriss zu nennen. Diese schwerwiegende Beschädigung des Bandapparates beschäftigt uns aus unfallchirurgischer und sportmedizinischer Sicht sehr stark.

Wie kommt es beim Skifahren zu einem Kreuzbandriss?

Fast immer durch eine Aussenrotation, – meistens in Kombination mit einer Beugung des Knies und einer Abduktion (einem Abspreizen) des Beines. Zu einer solchen Verdrehung des Kniegelenks führen oft Stürze, bei denen der Ski hängen bleibt und die Bindung nicht rechtzeitig auslöst.

Hat das sportliche Niveau des Schneesportlers einen Einfluss auf den Grad der Verletzung?

Das würde ich so nicht unbedingt behaupten. Natürlich gibt es diverse Studien, die sich damit beschäftigen, – nicht nur im Schneesport, sondern auch in anderen Sportarten wie etwa dem Fussball. Das Thema ist jedoch extrem komplex. Nicht nur das Können, sondern auch das Fahrverhalten, die Risikoabwägung und weitere Faktoren müssten berücksichtigt werden, um eine abschliessende Aussage machen zu können. Der Spitzensportler weist vielleicht eine bessere muskuläre Verfassung und ein schnelleres Reaktionsvermögen auf als der Breitensportler, ist dafür aber auch risikofreudiger. Fakt ist: Von Knieverletzungen sind Anfänger genauso wie Profis betroffen.

Gibt es besonders gefährdete Alterskategorien? Oder spielt das Geschlecht eine Rolle?

Aufgrund der meist höheren Risikobereitschaft sind Männer etwas öfter betroffen, – wobei die Frauen in den letzten Jahren in der Statistik aufgeholt haben.

Altersmässig reden wir von Personen ab der Adoleszent bis in den mittleren Lebensabschnitt. Bei älteren Patienten kommt es durch die veränderte Knochenstruktur vermehrt zu Brüchen im Kniebereich – die Kraft wird nicht mehr über die Bänder, sondern über die Knochen freigesetzt.

Welche Behandlungsmethoden gibt es nach einer Kreuzbandruptur, einem Kreuzbandriss?

Das ist seit langem eine viel diskutierte Frage und die Antwort darauf hat sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert. Früher galten Kreuzbänder als nicht operabel. Das betroffene Knie wurde eingegipst und über einen längeren Zeitraum ruhig gestellt. Danach war das Knie zwar stabil, aber dafür steif. Diese Behandlungsweise war natürlich mehr als nur unbefriedigend. In Folge lernte man also zu operieren – und es folgte die Zeit, in der rigoros jeder Kreuzbandriss operiert wurde. Viele Verfahren wurden getestet und lieferten mehr oder weniger positive Ergebnisse. Einige davon wurden verworfen, andere verfeinert und weiterentwickelt zu heutigen Standards.

Eines davon ist das Ersatzverfahren. Beim Ersatzverfahren wird dem Patienten ein Ersatzkreuzband, das man aus seinem eigenen Sehnenmaterial gewinnt, eingesetzt. Es gibt heute verschiedene Transplantat-Möglichkeiten; z.B. arbeitet man mit Kniescheibensehnen oder Sehnen vom grossen Oberschenkelstrecker. Seit rund zehn Jahren wird zudem das schonende Verfahren der dynamischen Kreuzbandnaht praktiziert. Dabei wird das Kreuzband genäht. Dank eines neu entwickelten Federsystems, das während der Heilung die Bewegung des Kniegelenks auffängt, sind die Erfahrungen mit diesem Verfahren heute sehr positiv. Eine dynamische Kreuzbandnaht muss, der derzeitigen Studienlage nach, in einer frühen Phase nach dem Unfall durchgeführt werden, wenn der Riss noch jung ist. Dieses Verfahren kann dem Patienten den Kreuzbandersatz ersparen, – der immer noch möglich ist, falls das Resultat der dynamischen Kreuzbandnaht nicht befriedigend sein sollte.

Welchen Behandlungspfad man einschlägt, entscheidet man heute viel individualisierter. Jedes Verfahren hat Vor- und Nachteile. Langzeitstudien zeigen, dass etwa mit dem Ersatzverfahren die Stabilität und Qualität durch die Operation primär erhöht wird, Langzeitfolgen wie etwa Arthrose aber trotzdem auftreten können. So wie vor dem Umfall, wird das Knie leider nicht mehr. Umso wichtiger ist der Dialog mit dem Patienten und Transparenz. Für den einen Patienten mag das eine Verfahren genau das richtige sein, für den anderen ein ganz anderes. Es gilt gemeinsam mit dem Patienten den geeignetsten Behandlungspfad zu finden und gehen.

Welche Kriterien entscheiden über eine Operation oder eine konservative Behandlung?

Ein Entscheidungskriterium ist ganz klar das Alter. Menschen, die sich noch stark im Wachstum befinden oder ältere Personen sind für einen Kreuzbandersatz nicht prädestiniert. Im Alter funktioniert die Einheilung eines Transplantats nicht mehr so gut. Vielleicht steht auch irgendwann das Thema eines künstlichen Gelenkes im Raum. In dem Fall ist es aufgrund der Vernarbungen ratsam, eine grössere Voroperation zu vermeiden.

Ein weiteres Entscheidungskriterium ist der Aktivitätslevel. Für jemanden, der nur gelegentlich und moderat Sport treibt, kann eine konservative Behandlungsmethode selbst dann die richtige Entscheidung sein, wenn er für eine Operation prädestiniert wäre.

Schlussendlich entscheiden wir von Patient zu Patient individuell, ob eine Operation sinnvoll ist oder doch eher eine konservative Behandlung in Betracht gezogen werden sollte. Kann der Patient auch ohne Operation seinen Wunschtätigkeiten nachgehen? Falls nicht, sollte immer zu einem Kreuzbandersatz oder einem kreuzbanderhaltenden Eingriff (dynamische Kreuzbandnaht) geraten werden. Letzteres Verfahren kommt gerade bei Spitzensportlern vermehrt zum Einsatz, da die Ergebnisse sehr vielversprechend sind und die Wiederrückführung in den Sport meist zeitnah möglich ist.

Wie lange dauert die Rehabilitationsphase?

Man geht unabhängig des Verfahrens von 6-9 Monaten aus. Selbst Spitzensportler sollten mit dieser Zeitspanne rechnen, – obwohl ich auch schon Patienten hatte, die nach drei Monaten wieder Sport trieben. Das ist aber die Ausnahme und auch riskant, da die Muskeln oftmals noch gar nicht wieder bereit sind und adäquat reagieren können. Fest steht: Wer sein postoperatives Knie zu früh sportlicher Belastung aussetzt, geht ein gesundheitliches Risiko ein.

Bietet das Zels die oben genannten Operationsverfahren und eine «Back-to-sports» Reha nach einem Kreuzbandriss oder einer Kreuzbandruptur an?

Natürlich. Unsere Lage im Tourismuskanton Graubünden und unsere Nähe zu den grossen Winter- und Sommerdestinationen mit ihren Sportangeboten bringt uns viele Patienten mit Knieverletzungen und führen eine grosse Anzahl an Knieoperationen durch . Gerade deshalb sind wir auf diesem Gebiet sehr gut aufgestellt und erfahren. Wir bieten sämtliche konservativen und operativen Verfahren an, – auch das kreuzbanderhaltende Verfahren mit Ligamys. Nach einer Operation bieten wir rehabilitative physiotherapeutische Massnahmen durch unsere Sportphysiotherapie an. Darüber hinaus bieten wir professionelle Rückführungen in den Sport oder Spitzensport an, bestehend aus leistungsdiagnostischen flankierenden Massnahmen, Trainingsplanungen, Empfehlungen und individuellen Aufbauprogrammen.

Welche Parameter sind entscheidend für die Rückkehr in den Sport?

Eine wichtige Rolle spielt die Muskelkraft, also die Stärke. Eine weitere, noch fast entscheidendere Rolle spielt die sogenannte Propriozeption: das Stellungsempfinden. Es gibt Aufschluss darüber, wie schnell der Muskel aktiviert werden kann und der Patient auf Positionsveränderungen, Kraftvektoren und das Zusammenspiel der Muskeln reagieren kann. Das Stellungsempfinden ist ein wichtiger Indikator, um Folgeverletzungen zu vermeiden. Wer zu früh wieder Überlastungen durchführt, trägt ein erhöhtes Risiko, gleich den nächsten Kreuzbandriss zu erleiden. Das ist in der Spitzensportwelt nicht selten zu beobachten.

Nicht zu unterschätzen ist auch die Rolle, die die Sicherheit auf dem Weg zurück in den Sport spielt. Es geht darum, ein Gefühl dafür zu entwickeln, was und wie viel man seinem Knie zutrauen kann. Das Bewusstsein für den eigenen Körper und das Vertrauen in ihn muss wieder aufgebaut werden.

Wie kann man solchen Verletzungen vorbeugen?

Die beste Prävention ist die, auf den gesunden Menschenverstand zu hören und sich selber richtig einzuschätzen. Was kann ich meinem Körper zumuten? Die Antwort darauf ändert sich mit dem Alter. Man muss wissen: Wenn man älter wird, kann man einen gewissen Abbau der Reaktionsfähigkeit und der Muskelmasse nicht verhindern. Davor ist keiner gefeit und dementsprechend muss jeder seine eigenen sportlichen Leistungsansprüche ab und an überdenken und anpassen.

Eine weitere wichtige Methode zur Prävention ist die tägliche Zielsetzung. Wie geht es mir heute? Welches sportliche Programm ist heute für mich realistisch? Es ist wichtig, auf seinen Körper zu hören, den Tag zu planen, sich Grenzen zu setzen und Pausen einzulegen. Keiner braucht den Pistenrekord, wenn die Gesundheit darunter leidet! Nicht von wegen passieren die meisten Unfälle nachmittags, wenn die Ermüdung mitfährt. Im Idealfall gibt es eine Aufwärmphase, gefolgt von einer Phase der Spitzenbelastung, wiederum gefolgt von einem ruhigeren Ausklang ohne grosse Schwierigkeitsgrade. Das bekommt man immer gepredigt – und das macht absolut Sinn!

Ach ja, übermässiger Alkoholkonsum sollte beim Ski- und Snowboardfahren tabu sein. Wer angetrunken fährt, gefährdet sich und die anderen Schneesportler.

Martin, du fährst selber gerne Ski. Was machst du persönlich zur Verletzungsprävention?

Ich halte mich an die oben genannten Regeln. Als 20-Jähriger bin ich von früh morgens bis spät abends durchgefahren. Das mache ich heute natürlich nicht mehr. Die Selbsteinschätzung spielt eine wirklich grosse Rolle. Ausserdem passe den Schwierigkeitsgrad konsequent meinem Körpergefühl an. Früh morgens wähle ich bewusst eine einfachere Piste, um mich aufzuwärmen. Die erste Fahrt muss nicht direkt auf einer schwarzen Piste stattfinden. Am Nachmittag, wenn ich merke das die Muskeln müde werden oder gar übersäuern, nehme ich es ebenfalls wieder gemütlicher. Die Verletzungsgefahr ist in der zweiten Tageshälfte nochmals grösser, wenn mehr Leute auf der Piste unterwegs sind und weil man grundsätzlich unvorsichtiger wird. Es sind ja nicht nur die Muskeln, die nachmittags müder werden, sondern auch die Konzentrationsfähigkeit lässt im Laufe des Tages nach.