10.01.2022
Trainieren bei Minustemperaturen

Training bei Minustemperaturen – ein kontroverses Thema, das viele Sportler verunsichert: Essentiell für Körper, Geist und Seele oder am Ende doch zu extrem? Karin Camenisch, Leiterin der Leistungsdiagnostik im Zels und ehemalige Langlauf Leistungssportlerin, beantwortet die wichtigsten Fragen rund ums Thema und erklärt, auf was man beim winterlichen Training achten muss.

Karin, gleich vorneweg, weil sich das Gerücht hartnäckig hält: Ist Ausdauertraining bei Minustemperaturen gefährlich?

Wenn man es richtig angeht, ganz klar: Nein! Winter-Ausdauersportarten wie Langlauf, Biathlon oder auch Trailrunning zeigen es – bei Temperaturen unter 0 C° werden dort sportliche Höchstleistungen erbracht. Dennoch gilt natürlich: Wer im Winter draussen Sport macht, muss sensibel auf die Signale seines Körpers reagieren und sich richtig vorbereiten. Wer alles richtig macht, stärkt mit regelmässigem, moderatem Training an der frischen Luft sein Immunsystem und fördert sein physisches und psychisches Wohlbefinden! Wenn Sonnenstrahlen auf unsere Haut treffen, produziert der Körper zudem wichtiges Vitamin D – ein wahrer Immunsystem-Superbooster!

Das klingt ja toll! Auf welche körperlichen Signale muss ich achtgeben, um sicher draussen zu trainieren?

Sicherlich auf die der Bronchien. Oft klagen Sportler über «leicht stechende Lungen» im Winter – das kommt davon, dass die trockene und kalte Winterluft die zarten Schleimhäute der Bronchien austrocknet, was ein kratzendes Gefühl im Hals- und Brustbereich zur Folge hat und lästigen Reizhusten auslösen kann. Abgesehen davon, haben Krankheitserreger wie Erkältungsviren bei ausgetrockneten Schleimhäuten leichteres Spiel.

Wie schütze ich also meine Atemwege vor Kälte und Viren?

Indem du konsequent durch die Nase einatmest – übrigens eine der Grundregeln beim Outdoor-Sport im Winter! Auf dem «Umweg» durch die Nase wird die Luft gefiltert, angefeuchtet und gewärmt, bevor sie die Lunge erreicht. Atmest du hingegen auf dem «direkten Weg» durch den Mund, gelangt die Atemluft kalt und mitsamt Schmutz und Bakterien in die Lunge. Ein Buff oder eine leichte Maske über Mund und Nase getragen, hilft übrigens zusätzlich die Luft zu erwärmen.

Sonst noch einen Tipp zum Schutz der Bronchien?

Ja. Sportler mit normaler Lungenfunktion sollten bei Minustemperaturen ab – 10 C° ausschliesslich im moderaten Bereich trainieren und Intervall- und High Intensity Training vermeiden. Denn es gilt: Je intensiver die Belastung, desto mehr kalte Luft wird eingeatmet – und desto grösser sind auch die unerwünschten Effekte. Die reine Nasenatmung ist übrigens ein effektives Mittel, um die Trainingsintensität zu kontrollieren: Atmet man ausschliesslich durch die Nase, ist die Gefahr von «zu intensiv» nämlich sehr gering.

Spannend! Auf was muss ich beim Winter-Outdoor-Training noch achten?

Auf die Körpertemperatur! Wer sich nicht ausreichend vor der Kälte schützt, erkältet sich schnell und es drohen leichte Erfrierungen. Häufig treten Erfrierungen übrigens in den äußeren Extremitäten, den Fingern und Zehen auf, da sie schlechter durchblutet sind. Auch Nase und Ohren sind gefährdete Körperteile, wenn sie ungeschützt der Kälte ausgesetzt werden.

Wie schütze ich mich also vor der Kälte? Mit der richtigen Bekleidung?

Ja. Die richtige Bekleidung ist sehr wichtig. Es ist paradox, Ausdauersportler ziehen sich, gerade im Winter, oft zu warm an. Sie vergessen, dass die Körpertemperatur schon nach wenigen (Jogging-)Minuten enorm ansteigt. Der Körper kann bei Kälte seinen Grundumsatz um das Vierfache steigern, um die Körpertemperatur aufrecht zu erhalten. Daher sind bei Minustemperaturen verschiedene Kleidungsschichten ideal. Das sogenannte Layer- oder auch Zwiebelprinzip.

Wie sieht das Zwiebelprinzip aus?

Das klassische Zwiebelprinzip besteht aus drei Schichten atmungsaktiver Funktionsbekleidung. Nach dem Motto «Mix & Match» bietet dir das Zwiebelprinzip den Vorteil, flexibel auf wechselnde Witterungsbedingungen reagieren zu können. Die erste Schicht, auch Base Layer genannt, besteht aus Funktionsunterwäsche, die den Schweiß vom Körper wegtransportiert und die Haut trocken hält. Darüber kommt eine wärmeisolierende Schicht, die Mid Layer; je nach Temperatur beispielsweise ein langärmliges Funktionsshirt oder eine Fleece- oder leichte Daunenjacke. Die Shell-Layer bildet abschliessend die dritte Schicht der Lagenbekleidung und dient als Schutz vor Schnee, Wasser und Wind. Hier kommen hochfunktionale Hardshell-Jacken mit oder ohne Membran zum Einsatz, die wasser- und winddicht sowie atmungsaktiv sind.

Ach ja, da ein Großteil der Körperhitze über den Kopf abgegeben wird, sollte man immer eine leichte Mütze oder ein Stirnband tragen. Natürlich auch um die Ohren vor der Kälte zu schützen. Wichtig ist es auch, die Hände warm zu halten. Die kühlen besonders schnell aus, besonders wenn die Handschuhe durch die Witterung oder vom Schwitzen feucht werden. Daher empfiehlt es sich, immer ein paar Ersatzhandschuhe dabei zu haben. Zum Schluss noch ein Tipp für Trailrunner: Gamaschen oder Gaiter halten die Fussgelenke warm und geschmeidig!

Von der Kleidung zur Umgebung. Auf was muss ich da achten?

Oberste Priorität: Nie auf gesperrten Trails oder Loipen unterwegs sein und exponierte Lagen (wegen der Lawinengefahr) meiden. Zusätzlich solltest du jemanden über deine Trainingsroute informieren – für den Notfall. Das gilt übrigens im Sommer genauso!

Im Gegensatz zur warmen Jahreszeit sind im Winter die Sichtverhältnisse oft nicht so kontrastreich und abends wird es schnell dunkel. Das bedeutet: Zum einen musst du für Verkehrsteilnehmer sichtbar sein, zum anderen benötigst du eine zusätzliche Beleuchtung, um die vor dir liegende Strecke zu überblicken und mögliche Hindernisse rechtzeitig zu erkennen. Deshalb nicht vergessen die Stirnlampe auf die Feierabend-Runde mitzunehmen und reflektierende, leuchtende Kleidung zu tragen. Sehen und gesehen werden bekommen eine ganz andere BedeutungJ.

Ein kleiner Geheimtipp von mir: Trainiere im Winterwald! Die Luft im Wald ist weniger trocken als ausserhalb, weil Bäume und Pflanzen Feuchtigkeit absorbieren und zudem ist die Sicht besser, weil der Kontrast höher ist. Die Lawinengefahr ist im Wald gering und verschneite Bäume sehen besonders hübsch aus! Also winwinwin. Wildschutzzonen sind aber natürlich ein No-Go!

Danke für den Tipp. Und wie geht es nach dem Training weiter?

Mit leichtem Stretching – auf jeden Fall im Warmen und am besten bereits in trockener Kleidung. Danach gönnst du dir eine wechselwarme Dusche, um die Durchblutung anzuregen und ausgekühlte Körperteile behutsam zu erwärmen – so vermeidest du das lästige Kribbeln. Latschenkiefer als Kräuter-Duschzusatz tut sowohl deinen Atemwegen wie auch deinen Muskeln gut – und ein heisser Holundertee wärmt nach dem Sport Körper und Seele und wirkt Wunder gegen angeschlagene Bronchien.

Ein Wort zum Schluss?

Ja, unbedingt. Outdoor-Training im Winter braucht zwar etwas Überwindung und gewisse Vorsichtsmassnahmen, wirkt sich aber auf Leib und Seele ungemein positiv aus und stärkt das Immunsystem. Also: Rausgehen! Es lohnt sich immer!